© U. Anders, Okt. 2002
Jean-Joseph Fourier (1768-1830)
I : Geschichtliches.
Geboren wurde Jean-Joseph Fourier am 21.3.1768 in Auxerre, ca. 200 km
südöstlich von Paris. Sein Vater war aus Lothringen gekommen und hatte in
Auxerre eine Schneiderei aufgemacht [He75;5].
Als Jean-Joseph etwa 10 Jahre alt war, starben hintereinander Vater und Mutter.
Bis zu diesem Alter hatte Fourier in einer kleinen, privaten Schule Unterricht
gehabt und war durch seine schnelle Auffassungsgabe aufgefallen und deswegen
fand er in der Folge auch finanzielle Unterstützung zum weiteren Schulbesuch.
Ab 1780 besuchte er die École Royale Militaire in Auxerre. Dort erwachte sein
Interesse für Mathematik und Physik, welches Fourier buchstäblich Tag und auch
Nacht vorantrieb, wobei er wahrscheinlich seiner Gesundheit ersten Schaden
zufügte. Seinem Wunsch zur Ausbildung als Artillerieoffizier wollte man aber
nicht stattgeben, da seine Herkunft für die damaligen gesellschaftlichen
Gegebenheiten als zu niedrig eingestuft wurde. So trat er 1787 als Novize in
das Kloster St. Benoit-sur-Loire ein.
1789 brach die Französische
Revolution aus, die Zeiten waren bewegt und chaotisch. Der Kirchenbesitz wurde
aufgelöst, Bücher gab es keine in St. Benoit. Fourier ging 1790, zwar formal
als Abbé, doch ohne Gelübde ab, da nur wenige Wochen zuvor das Ablegen eines
Gelübdes in Frankreich untersagt worden war. Fourier wechselte als Lehrer für
Mathematik und Physik an seine frühere Schule École Royale Militaire in
Auxerre, auf eine Stelle, die ihm sein guter Bekannter und lebenslanger Freund
Bonard, Lehrer in Auxerre, verschafft hatte. Dort wurde er 1792 Schulleiter,
was ihn natürlich ins Licht der Öffentlichkeit brachte - was in diesen Zeiten
nicht unproblematisch war.
Bis 1793 konnte sich Fourier
einigermaßen aus dem politischer Trubel heraushalten. Dann aber mußte er sich
offenbar entscheiden - und wählte die falsche Seite, denn 1794 kam er zweimal
ins Gefängnis, das zweite Mal schwerwiegender als das erste Mal. Und dieses
zweite Mal hätte ihm, wie es zum Beispiel Lavoisier[1], dem Entdecker des
Sauerstoffs, geschah, seinen Kopf kosten können. Dies zumindest behaupten
einige seiner Biographen [Bra89 und He
75]. Nun, der von Robespierre[2] rollte vorher und Fourier
kam frei.
1798 erschien Fouriers erste
Veröffentlichung, die jedoch nichts mit Wärmevorgängen zu tun hatte; vielmehr
handelte es sich hier ein Problem der theoretischen Mechanik [He75;208].
Von 1798-1801 nahm Fourier am Ägyptenfeldzug Napoleons[3] teil, wo er zum Gefolge von 165 Gelehrten gehörte, das Napoleons Expedition nach Ägypten begleitete. Während Napoleon die Syrer in Palästina bekämpfte, die Türken aus Ägypten vertrieb und den Mameluckenführer Murad Bei jagte, unternahmen die französischen Wissenschaftler anspruchsvolle Studien in Geographie, Archäologie, Medizin, Landwirtschaft und Naturgeschichte. Fourier wurde zum Sekretär eines wissenschaftlichen Gremiums namens 'Ägyptisches Institut' ernannt und erfüllte diese Pflichten so geschickt, daß er in der Folge mit vielen diplomatischen Aufgaben betraut wurde. (Direktor des Instituts war der Mathematiker Gaspard Monge[4], Stellvertreter Napoleon selbst.)
Daneben beschäftigte er sich
intensiv mit dem antiken Ägypten und einer Theorie der Lösungen algebraischer
Gleichungen. Kurz bevor die Franzosen 1801 aus Ägypten vertrieben wurden,
setzten Fourier und seine Kollegen die Segel in Richtung Frankreich.
Nachdem Fourier nach der
Niederlage Napoleons in Ägypten relativ unbeschadet nach Frankreich
zurückgekehrt war, konzentrierte er sich als Professor für Analysis, Nachfolger
auf dem Lehrstuhl von Lagrange an der Pariser École Polytechnique, auf
mathematische Probleme.
Im Departement Isère, d.h.
der Gegend um Grenoble, einem der circa 100 französischen Departements, war zu
dieser Zeit gerade die Präfektenstelle freigeworden. Irgendwie, wie, ist nicht
ganz ersichtlich, erinnerte sich Napoleon an Fourier und dessen hervorragende
Verwaltungstätigkeit in Ägypten. Napoleon beauftragte seinen wissenschaftlicher
Berater, den Chemiker und Physiker Berthollet[5] die Besetzung in Grenoble
vorzubereiten. Die Verhandlungen waren erfolgreich und so trat Fourier 1802 als
Präfekt des Departements Isère, mit dem Sitz in Grenoble, wieder in den Dienst
Napoleons.
Die folgende Zeit von
1802-1815 war die intensivste Zeit in Fouriers Leben. Im Rahmen des
napoleonischen Unterfangens, die Wunden der 1789er Revolution zu heilen, ließ
er den französischen Teil der Straßenverbindung von Grenoble nach Turin erbauen
und in den daran angrenzenden Bereichen 80,000 Quadratkilometer Malariasümpfe
trockenlegen. Der zuständige Innenminister wollte anfangs erst nicht auf
Fouriers Pläne eingehen und so hatte sich Fourier direkt an Napoleon, den er in
seiner Funktion als Sekretär des Ägyptischen Instituts persönlich kannte,
gewandt. 1809 wurde er von Napoleon für den erfolgreichen Abschluß dieser
Arbeiten in seiner Funktion als Präfekt in den Adelsstand versetzt.
Gleichzeitig aber
unterstützte der lebenslang unverheiratete, an Schlaflosigkeit leidende Präfekt
Fourier, nachdem er seine Hausaufgaben gemacht hatte, d.h. mit Umsicht und Geschick
seine adminstrative Maschinerie gestartet hatte, nach Kräften und unter
Ausnützung aller Gegebenheiten den Wissenschaftler Fourier. In dieser Zeit, von
1804-1807, entwickelte er eine Differentialgleichung, die die Wärmeleitung in
festen Körpern beschreibt, und 1807 fand er eine Methode zur Lösung dieser
Gleichung, eben die Fourier-Reihen [Bra89].
Der Grund übrigens, warum
sich Fourier mit der Wärme beschäftigte wird allgemein auf eine rein
biographische Tatsache zurückgeführt. Seit St. Benoit litt Fourier, neben der
dort gleichfalls erstmalig aufgetretenen Schlaflosigkeit, unter Rheuma, Asthma
und Atembeschwerden. Und vielleicht hatte er in Ägypten bemerkt, daß Wärme
seine Leiden lindere. Zeitgenossen berichten jedenfalls, daß er seit seinem
Aufenthalt in Ägypten seine Wohnung derartig unangenehm heiß hielt, daß sich Besucher
häufig beschwerten, während er sich zusätzlich noch in dicke Mäntel einhüllte.
Am 21. Dezember 1807 verlas
Fourier erstmals eine Zusammenfassung seines Manuskripts über Die Ausbreitung von Wärme in festen Körpern
vor Lagrange[6], Laplace[7], Lacroix[8] und Monge. Letzteren kannte
er ja bereits aus Ägypten und Monge war Fouriers Ideen gegenüber durchaus
positiv eingestellt. Die anderen verhielten sich erst einmal neutral.
Die erste schriftliche
Reaktion kam von Poisson[9], fair und korrekt, aber
nicht enthusiastisch [He75;100]. Es
war dies die einzige Bekanntmachung von Fouriers Ideen überhaupt, da es dieser
in der Folge versäumte, seinen Vortrag schriftlich nachzureichen. Dann folgten
1808 Lagrange und Laplace, die die trigonometrische Expansion, die Fourier-Reihen,
nicht akzeptieren wollten. Die Gegenargumentationen sind leider
verlorengegangen, nicht dagegen Fouriers Antworten, die sehr klar waren.
Trotzdem konnte sich Lagrange, nebenbei bemerkt, lebenslang nicht mit Fouriers
Gedanken anfreunden.
Der Hauptangriff aber kam
wenig später von Biot[10]. Teilweise und zeitweilig
wurde er unterstützt von Laplace und Poisson, die sich gegen die Herleitung der Bewegungsgleichung von
Wärme in Festkörpern wandten. Außerdem hatte der auf dem Parkett der Grenobler Gesellschaft
sonst so gewandte Fourier hier zwei taktische Fehler gemacht. Zum einen hatte
Fourier einige parallele Arbeiten von Biot aus dem Jahre 1804 außer acht
gelassen, zum anderen waren in einem frühen schriftlichen Entwurf Fouriers aus
dem Jahr 1804, der später, 1807, wie erwähnt vorgetragen wurde, einige Fehler.
Dieser Entwurf war schon damals in die Hände Biots gelangt - Biot und Poisson
sollten seine Hauptgegner bleiben.
Jedenfalls bekam Fourier
noch 1807 einen Preis für seinen Vortrag, der jedoch wegen der Kontroversen
schließlich erst 1815 veröffentlicht wurde, und von 1816-1822 veröffentlichte
Fourier immer wieder Teilstücke aus diesem Preisvortrag. 1822 erschien dann
sein zusammenfassendes Buch zur Wärmetheorie. Doch die Akzeptanz seiner Ideen
ließ auf sich warten - eigentlich geschah dies erst nach seinem Tod.
In den 100 Tagen der zweiten
Herrschaft Napoleon, nach dessen Rückkehr aus Elba, wurde Fourier Präfekt vom
nahegelegenen Departement Rhône. Diese Anerkennung durch Napoleon sollte ihm in
der Folge schwer zu schaffen machen, denn nach dem Fall Napoleons war Fourier
nämlich ganz einfach arbeitslos und ohne Altersversorgung - wieder einmal hatte
er nicht rechtzeitig die richtige Seite gewählt. Hätte er übrigens 1790 bei den
Benediktinern das Gelübde abgelegt, was trotz Verbot kirchenintern möglich
gewesen wäre, so wäre er jetzt wenigstens Abbé gewesen.
Nach einigen schwierigen
Jahren der wirtschaftlichen Unsicherheit wurde er, nach anfänglich sehr hartem
Widerstand durch den entsprechenden Minister und einer formalen Ablehnung, doch
zum Sekretär der Académie des Sciènces ernannt. Seine Befürworter waren Monge,
Malus[11] und andere. Auf diese
beiden letztgenannten trifft man wieder, wenn man in die Optik geht bzw., wenn
man die Biographie Hamiltons[12], Entdecker des nach ihm
benannten Operators, (der zentrale Bedeutung in der modernen theoretischen
Physik hat) anschaut.
Der Gesundheitszustand
Fouriers verschlechterte sich in dieser Zeit immer mehr. Schlaflosigkeit,
Asthma und Rheuma erlaubten ihm nur noch, fast aufrecht stehend, in einem
selbstgebautem Gestell wenigstens zeitweise Ruhe zu finden. Eine Angina kam
dazu und so verstarb Fourier 1830 in Paris im relativ frühen Alter von 62
Jahren.
[1] Antoine-Laurent Lavoisier, 1743-1794. Franz. Chemiker. Formulierte als erster das Massenerhaltungsgesetz, entdeckte 1777 den Sauerstoff. 1789 erschien sein bahnbrechendes Buch Elementares Traktat der Chemie. War 1790 Mitglied bei den Voruntersuchungen zur Einführung des Metrischen Systems. Geköpft wurde er wegen übereifriger privater Bereicherung als Steuereintreiber [EZ95].
[2] Maximilien-Francois-Isidore Robespierre, 1758-1794. Rechtsanwalt von Beruf.
[3] N.I. Bonaparte, franz. Napoleon, 1769-1821.
[4] Gaspard Monge, 1746-1818, Mitarbeiter an der Enzyklopädie, einer der Gründer der noch heute weltberühmten École Normale und École Polytechnique. Entdeckte unabhängig von Cavendish die Zusammensetzung von Wasser. Arbeitete auf dem Gebiet der Differentialgeometrie und dem der Gauß'schen und Riemann'schen Kurven und Flächen [EZ95].
[5] Claude-Louis Berthollet, 1748-1822; Arbeiten zur chemischen Affinität und zum Massenwirkungsgesetz. Entdecker der Verwendung von Kaliumchlorat als Explosivmittel [EZ95].
[6] Joseph Louis de Lagrange, 1736-1813, von Geburt Italiener, lehrte zuerst in Turin, von 1766-1787 in Berlin. 1788 erschien sein Hauptwerk Analytische Mechanik, 1797 seine Theorie der analytischen Funktionen. Bekannt und wichtig in der theoretischen Physik sind noch heute die Lagrange-Gleichung, die 'Lagrange-Funktion, die Lagrange-Multiplikatoren und das Lagrange-Theorem [EZ95].
[7] Pierre Simon de Laplace, 1749-1827, Mathematiker, Astronom, Physiker. Innenminister unter Napoleon, 1803 Vizepräsident des Senats. Beteiligt in der Kommission zur Einführung des Metrischen Systems. Arbeitete auf vielen Gebieten der Mathematik und Physik, sogar der Philosophie. Das Laplace'sche Gesetz, der Laplace Operator, die Laplace Theorie, die Laplace Transformation nehmen noch heute einen breiten Raum in der theoretischen Physik ein[EZ95].
[8] Sylvestre Francois Lacroix, 1765-1843. Professor an der École Normale, der École Polytechnique und der Sorbonne. Seine Textbücher Traité de Calcul différentielle et integral (3 Bände, 1797-1800) und Cours de Mathématiques (2 Bände, 1797-1799) waren damals Bestseller [He75;288].
[9]
Siméon Denis Poisson, 1781-1840,
Schüler von Laplace, Poisson Verteilung,
Poisson'sche Gleichung, Poisson-Modulus [EZ95].
[10] Jean Baptiste Biot, 1774-1862, Professor für Physik am Collège de France. Arbeiten zur Drehung polarisierten Lichts in Flüssigkeiten und Kristallen. [He75;273], Gesetz von Biot-Savart: Abhängigkeit der Intensität eines Magnetfeldes von Abstand und Stromstärke eines stromdurchflossenen Leiters [EZ95].
[11] Étienne-Louis Malus, 1775-1812. Franz. Physiker. Studierte 1808 die Polarisation des Lichtes. Konnte das korpuskulare Modell Newtons (1643-1727) in eine mathematische Form bringen. Das Gesetz von Malus erlaubt eine Berechnung der Intensität des Lichtes bei einer Doppelbrechung [EZ95].
[12] Sir William Rowan Hamilton, 1805-1865. Prof. in Dublin. Entwickelte die geometrische Optik aus Extremalprinzipien und übertrug dieses Konzept 1834 auf die Dynamik, wo er den Hamilton Operator einführte [EZ95].